(Kommentar zu Texten von Ivanete Boschetti/CFESS)

Seit 20 Jahren ist der Kampf der Sozialarbeiter Brasiliens für Arbeitszeitverkürzung vorbildlich für die ganze Arbeiterklasse! Vor allem weil er die Kraft des Bündnisses der proletarischen mit der kleinbürgerlichen Frauenbewegung auf der Grundlage des Kampfes zeigt!

Zehn Jahre lang wurden Proteste und Demonstrationen organisiert. Die parlamentarischen Instrumente benutzt: Briefe/E-Mails an Kongressabgeordnete, Besuche im Parlament und bei Parteivertretern, Zeitungsartikel, regionale Versammlungen mit Stadträten oder Verwaltungen der Sozialen Dienste vor Ort. Verbunden mit ihrer Kleinarbeit: im sozialen Leben der Menschen zu kämpfen. Was sich mit dem Kampf der Sozialarbeiter für gute Arbeitsbedingungen, gegen Überausbeutung der Arbeitskraft und weitere Programme für die Familie verbindet. Berechnungen der CFESS zeigen: das ist auch alles bezahlbar!

Laut Bundesrates-Sozialdienst (CFESS) waren 2006, als der Beruf sein siebzigjähriges Bestehen feierte, 65.000 Sozialarbeiter registriert. 2011 war diese Zahl auf 102.000 angestiegen (im gleichen Zeitraum machten 4.049 einen Barchelor). In 5 Jahren gab es einen Zuwachs von 56% an Fachkräften, die in den `Arbeitsmarkt` eingegliedert wurden. Aktuell sind es 200.000 Sozialarbeiter landesweit!

Ein solches Wachstum kann nur im Zusammenhang mit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise verstanden werden, wo das Kapital neue Nischen für die Akkumulation sucht, wobei Bildung & Gesundheit die Hauptinvestitionsfelder sind. Die Kapitalstrukturierung nach der Welt-Finanzkrise 2008/09 zeigt besondere Seiten in Brasilien. Eine ist: die Eröffnung von Präsenz- und Fernkursen, fast nur in privaten Hochschulen, die aus der perversen Hochschulpolitik der letzten Regierungen resultiert (Privat-Kurse als Teil der mit dem IWF unterzeichneten „Krisenprogramme“). Die „Reform“ im Hochschulwesen hilft uns das Phänomen zu verstehen, das sich direkt auf die gegenwärtigen Bedingungen der Ausbildung im Allgemeinen und des Sozialdienstes im Besonderen auswirkt und Folgen für die Arbeitsbedingungen hat. Die Einführung und der Ausbau des Staatlichen Gesundheitssystems (SUS) und des Einheitlichen Unterstützungssystems der Sozilalhilfe (SUAS) der Regierung Lula – in der Verfassung – war entscheidend für die Erweiterung des Arbeitsmarktes für Sozialarbeiter.

Es ist kein Zufall, dass dieser Zuwachs an Fachkräften im Kontext einer weiteren strukturellen Krise des Kapitals auftritt, wenn die Ausweitung von Arbeitsplätzen im „Dienstleistungssektor“, eine Strategie ist, um die Folgen der Krise zu minimieren, so eine Studie des Bureau of Labor Statistics der US-Regierung (Zeitung O Globo, 8.3.09). Diese Studie zeigte: die Berufe mit dem größten Expansionspotenzial in der Welt sind: Kommunikationsfachleute, Fachleute, die sich der häuslichen Pflege von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen widmen, computerbezogene Ingenieure, Tierärzte, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, u.a. im Bereich der Umwelt.

Krise des Kapitals und die `Prekarisierung` der Arbeit

Diese strukturelle Krise des Kapitalismus ist Ausdruck seiner Jagd nach Superprofiten. Die zyklischen Krisen des Kapitalismus haben strukturellen Charakter. Die Maßnahmen zu ihrer Bewältigung werden durch den Entwicklungsgrad des Kapitalismus, die Organisationsform der Klassen und der Verfassung des Staates zum gegebenen Zeitpunkt bestimmt. Die Maßnahmen zur Krisenbewältigung sind unterschiedlich, wegen der Überproduktionskrise, die durch das Streben nach Superprofiten, Überakkumulation und die wachsende soziale Ungleichheit in der Welt bestimmt wird. Die Gegenmittel zur Krise sind bitter: die Kapitalkonzentration führt zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

Deshalb ist der Kampf für die 30-Stundenwoche (ohne Lohnverlust) ein erfolgreiches Beispiel, das nun, 10 Jahre nach Einführung bei den Sozialarbeitern (2011), in der Corona-Pandemie (2021) dazu führt, dass Beschäftigte im Öffentliche Gesundheitssystem SUS ebenfalls von diesem Kampf lernen und nun auch für sich die 30-Stundenwoche (o.L.) fordern: Krankenschwestern, Pflegekräfte auf Intensivstationen, Rettungssanitäter, Hebammen und technische Fachkräfte in Krankenhäusern. Das wurde deutlich bei den monatlichen Massenprotesten, die seit Mai 2021 stattfinden!

Natürlich kann man die wirtschaftliche, soziale und politische Situation in der „sozialdemokratischen“ (neoliberalen) Lula-Regierung und jetzt bei der faschistoiden Bolsonaro-Regierung nicht vergleichen. Umso bedeutender ist dieser Kampf um Arbeitszeitverkürzung – weil dafür ein hohes Klassenbewußtsein und die Arbeiterklasse als Rückgrat des Kampfes klar wird. Nicht nur als Kampf für eigene Klasseninteressen – auch im Kampf für das Paradigma „Einheit von Mensch und Natur“!

Politische Organisation des Sozialdienstes und der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen

Schon bei den Gedenkfeiern zum Tag der Sozialarbeiter im Mai 2009 verkündete die CFESS in ihrem Manifest, das bei diesen Gedenkfeiern gewählt wurde: “Sozialisiere den Reichtum, um die Ungleichheit zu brechen“. Auch in der Kampagne 2008-11 mit dem Thema “Menschenrechte, Arbeit und Reichtum in Brasilien“, die die vorherrschende Ungleichheit anprangerte, dazu aufrief, “für Rechte zu kämpfen, mit der Ungleichheit zu brechen“. Was wir zeigen wollen, ist, dass der Kampf für Arbeitsrechte täglich in den Aktionen der CFESS/Cress-Gruppe präsent ist und über die Verteidigung der Rechte der Sozialarbeiter hinausgeht. Die Verteidigung der ethischen/technischen Arbeitsbedingungen für Sozialarbeiter wird den sozialen Kämpfen und der Stärkung der Arbeiterklasse hinzugefügt und bereichert sie!

Die 30-Stunden-Woche ohne Lohnverzicht: ein im Kampf durchgesetztes Recht

Besondere Erwähnung verdient die bedeutendste Errungenschaft des Sozialen Dienstes in den letzten zwanzig Jahren, die einen tiefgreifenden Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Sozialarbeiter hat. Die Verkürzung des Arbeitstages auf 30 Stunden pro Woche ohne Lohnkürzung, ermöglicht es, die Überlastung der Arbeit zu reduzieren, was die Gesundheit der Kollegen verbessert. Es ist kein Zufall, dass die Umsetzung dieses wichtigen Rechts vom Nationalen Gesundheitsdienst vor dem Obersten Gerichtshof angefochten wurde und viele öffentliche Einrichtungen sich gegen die Umsetzung wehren. Wir dürfen nicht vergessen, dass die brasilianische Gewerkschaftsbewegung für die Einführung der Vierzig-Stunden-Woche in einem Land kämpft, in dem der Arbeitstag noch immer vierundvierzig Stunden beträgt, und dass nur sechs Berufe im Gesundheitsbereich bereits Arbeitszeiten haben, die dreißig Stunden pro Woche entsprechen oder darunter liegen (Ärzte, Labor- und Radiologieassistenten, Radiologietechniker, Physiotherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten). 17 weitere Berufsstände (Krankenschwestern, Krankenpfleger, Pflegehelfer, Apotheker, Ernährungsberater, Zahnärzte und Psychologen) haben im Parlament Gesetzesentwürfe zur Verkürzung des Arbeitstages vorgelegt.

Arbeitszeit von 30 Stundenwoche für Sozialarbeiter: historischer Kompromiss im Kampf für die Arbeitsrechte mit eigenem Kampfprogramm

Das Erreichen dieses Rechts ist das Ergebnis mehrerer Elemente des Kampfes, wobei die politische Richtung der CFESS und ihre Entschlossenheit bei der Verteidigung des Gesetzes und der Kampf in zwei Richtungen zeigt: kollektiver politischer Druck auf die Legislative & Exekutive, die Artikulation über wichtige Schlüsselpersonen regional/landesweit. Der zentrale Protest von Tausenden Sozialarbeitern in Brasilia am 03.08.2010 war ein Markstein. Forderungen im Kampfprogramm waren:

– für Arbeitsrechten und hochwertige Berufsausbildung

– Arbeiter zahlen nicht für die Krise / Bildung und Gesundheit sind keine Ware

– Gegen privatrechtliche Stiftungen

– Gegen die Steuerreform – für Verteidigung der öffentlichen Sozialversicherung

– Gegen Homophobie

– 30-Stunden-Arbeitstag für Sozialarbeiter: Für das Gesetz 152/2008!

– Für Lohnuntergrenze und die Regelung der Rentenhöhe der Räte!

– Sozialer Dienst in den Schulen Jetzt!

– Fernstudium ist keine Qualitätsgarantie!

Die Emanzipation, auf die wir uns beziehen, ist nicht auf die politische Emanzipation beschränkt, obwohl die Vergesellschaftung der Politik und die Radikalisierung der Demokratie grundlegende Prinzipien sind, die die Ausarbeitung von Widerstandsstrategien leiten und soziale Kämpfe zur Verteidigung einer Nicht-Markt-Gesellschaft vermitteln sollten. Die emanzipierte Gesellschaft, die wir verteidigen, ist diejenige, auf die sich der Kodex der Berufsethik bezieht: eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen frei und emanzipiert sind von sozialen Zwängen, die die Arbeitskraft in eine vom Kapital unterjochte Ware verwandeln. Wir verteidigen eine Gesellschaft, die auf echter Gleichheit basiert, als Voraussetzung für die volle Entfaltung von Freiheit und menschlicher Vielfalt.

Unter den sozialen Bewegungen, die bei der Zentralen Kundgebung in Brasilia anwesend waren, befanden sich linke Parteien wie PSol, PSTU, PCB/PCdoB, die brasilianische Lesbenliga, Initiative zur Verteidigung der LGBT-Rechte, die Bewegung der obdachlosen Arbeiter MTST, Vertreter der indigenen Völker, die 9 Monate lang vor dem Kongress kampierten, Gewerkschaften aus verschiedenen Segmenten: wie Sindjus-DF (Justizangestellte), die Nationale Föderation der Gewerkschaften der Gesundheits-, Wohlfahrts- und Sozialhilfearbeiter (Fenasps). Dem Kampf schlossen sich auch Vertreter von Consulta Popular und der Vereinigung der Sozialassistenten und Psychologen der TJ(SP) an, die in einer Karawane nach Brasília kamen und sich dem öffentlichen Akt anschlossen.

Der Kampf wurde hauptsächlich von Frauen getragen (viele mit proletarische Herkunft/Prägung), die aufgrund der sexistischen und machohaften Gesellschaft am Ende die Hausarbeit alleine übernehmen und somit einen doppelten oder dreifachen Arbeitstag haben … ihnen gilt besondere Anerkennung. Der 26. August 2010 wird in die Geschichte des brasilianischen Sozialdienstes eingehen, denn es war der Tag, an dem Präsident Lula das Gesetz 152/2008 sanktionierte. Die Unterzeichnung des Gesetzes durch fand im Itamaraty-Palast statt … dann rief auch der stellvertretende Stabschef beim Präsidialamt, Swendenberger-Barbosa, sagte, dass die Sanktion am folgenden Tag, dem 27. August, im Amtsblatt des Bundes veröffentlicht würde. Die CFESS veröffentlichte die Nachricht sofort auf ihrer Webseite, mit der Überschrift: “Wir haben gekämpft und gewonnen: Gesetz zu 30-Stunden-Woche ist sanktioniert”. Tausende von Anrufen und E-Mails gingen bei CFESS ein, und am 27. August veröffentlichte der CFESS-Vorstand einen Brief an Sozialarbeiter, in dem er Zweifel ausräumte und den Fachleuten Strategien zur Umsetzung des Gesetzes an die Hand gab. Wir wussten, dass die Eroberung dieses wichtigen Rechts Widerstand provozieren würde, da es ein Kampf der Arbeit gegen das Kapital ist.

Viel Widerstand hat sich auf unterschiedliche Weise danach manifestiert.

Der CFESS kämpft weiter Dieser Kampf wird erst enden, wenn allen brasilianischen Sozialarbeitern eine 30-Stunden-Woche und Gehälter garantiert werden, die nötig sind. Dies ist ein Kampf derer, die, wie das Lied sagt:

“Wer das Bewusstsein hat, um Mut zu haben,

der hat die Kraft zu wissen, dass er existiert.

Und in der Mitte seines eigenen “Getriebes” (den Mühlen des Lebens),

das die “Gegenfeder” aufzieht, die Widerstand leistet …

Der auch in der Niederlage nicht wankt …

Wer, schon verloren, niemals verzweifelt,

und eingewickelt in einen abgeschlossen Sturm,

zwischen seinen Zähnen hält … den Frühling.”

(João Ricardo/João Apolinário)

Der erfolgreiche Kampf der Sozialarbeiter Brasiliens für die 30-STUNDENWOCHE – ohne Lohnverlust

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